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Gärten im Moor

Reisen sind oft, im besonderen, wenn sie in unwirtliche und abgeschiedene Gegenden führen, eine schwere Aufgabe, der nicht wenige bereits Opfer wurden.

Besonders häufig sind diese Opfer in der Machairasregion des ansonsten als sehr sicher geltenden Erzherzogtums von Miktonos. In den Landstrichen nahe der Waldgrenze, aber auch in den angrenzenden Hügeln, sind schon viele friedliche und kriegerische Reisende verschwunden, ohne daß jemand Nachricht von ihrem Verbleib erhalten hat.

Diese oft gebrauchte Formulierung erweckt den Anschein, die nun folgende Erzählung gehöre zu jenen Fabeln und Märchen, wie man sie allerorten von Geschichtenerzählern und Scharlatanen zu hören bekommt, die sie nach Kräften ausschmücken, bis sie das Bedürfnis ihrer Zuhörer nach Sensationen und das ihrer Börse nach klingender Münze befriedigt haben. Es ist jedoch nicht mehr als nur ein simpler Reisebericht. Dieser ist aber zugegebenermaßen so abenteuerlich, daß mir so mancher den Vorwurf machen wird, ich hätte ihn ebenso ausgeschmückt, wie erwähnter Geschichtenerzähler. Und wenn Du, lieber Leser, zu jenen Menschen gehörst, dessen stets nüchterner und sachlicher Verstand sich an fabelhaften Geschichten nur langweilt und dem Märchen und Sagen nur ein Gähnen entlocken, so ist es besser, hier und jetzt mit dem Lesen aufzuhören.

Ich war mit meinen Gefährten Limsol Arzek, seines Zeichens Barde und einer der erwähnten Geschichtenerzähler, sowie Pestur Hascheck, einem geübtem Söldner, von Ronnos aus in die machairischen Hügel unterwegs. Wir hatten die beeindruckende Fähre von Fährenburg zur Überfahrt verwendet und uns unverzüglich auf den Weg gemacht. Wir hatten allen Grund, uns zu eilen, lag doch mein jüngster Bruder nahe der Quellen des Ronnem auf dem Krankenbett und erwartete meine heilkundige Hilfe. Meine elterliche Familie war arm und konnte sich keinen Arzt aus Bardor oder Mannannerian kommen lassen. Mein tolpatschiger Bruder war in eine Limwurzel getreten und das vergiftete Blut suchte sich nun langsam aber unaufhaltsam seinen Weg zum Herzen.

Schnell wurde es sumpfig, an Weiterreiten war bald nicht mehr zu denken. Das Ufer des Flusses Ronnem, den wir hinaufzogen, wollten wir keinesfalls aus den Augen verlieren. Die Pferde am Zügel, kamen wir noch eine Weile gut voran; schließlich, als das Licht bereits schwerer wurde, war es schier unmöglich geworden, dem Sumpfpfad noch weiter zu folgen. Ein jeder von uns versank Schritt für Schritt knöcheltief im Morast. Der Fluß schien über die Ufer getreten und im schwachen Abendlicht standen wir vor einer einzigen glänzenden Wasserfläche. Bald würde es unmöglich sein, unter dem Wasser die Stellen zu finden, die unsere Last aushielten. Jetzt schon war es mehr unser Glück als unser Augenlicht, daß uns davor bewahrte, zur Gänze in einem der dunkelbraunen Sumpflöcher zu verschwinden, um der Nachwelt kleine Bläschen zu hinterlassen.

Der Gedanke des Rückweges und die bohrende Angst, zu spät zu kommen, war schon in unseren Köpfen, da tauchte mitten aus der Dämmerung ein flackerndes Licht auf. Zuerst war es schwach und schwankend. Es dauerte nicht lange, und im immer klarer werdenden Licht einer Fackel erschien die Silhouette eines Menschen. Wir erkannten eine alte Frau, die sich uns näherte. Schlurfend, aber zielstrebig und ohne Zweifel waren ihre Schritte, die Fackel in ihrer Hand rußte und warf tanzende Schatten in das feuchte Moor. Sie hob die Hand zum Gruße und wir erwiderten diesen mit von Verwirrung aufgewülten Gefühlen. Es mochte zwar gut sein, jemanden zu treffen, der sich in dieser Einöde auskannte, aber welch Geist bringt um diese Zeit eine alte Frau ins Moor?

Sie schlurfte heran, lächelte ein zahnloses Lächeln, während sie nach unserem Reiseziel fragte. Wir sahen uns an. Die Blicke meiner Gefährten zeigten ihre Unsicherheit und ich antwortete kurzentschlossen wahrheitsgemäß mit den Quellen des Ronnem.

Darauf starrte sie uns ein paar Sekunden mit glasigem Blick an ohne ein Wort hervorzubringen, daß wir Angst bekamen, sie würde auf der Stelle einschlafen und vor unseren Augen im Moor versinken.

Plötzlich sprach sie, und ihre Stimme war freundlich, als sie uns anbot, uns sicher durch das Moor zu führen. Doch schien sie es nicht ohne Lohn machen zu wollen, denn kaum daß das Angebot über ihre Lippen war, begann sie von den Mühsalen des Weges, denen man in ihrem Alter nicht mehr so leicht entkäme, zu erzählen. Ich bot ihr daraufhin fünf Reichstaler, was sie sofort bereit zeigte, uns zu führen. (Welch ein Wunder bei der Summe, oh welch gierige Welt!)

Die Wanderung im nächtlichen Moor war beängstigend, der Pfad wechselte alle paar Meter die Richtung und es wird mir ob des Verlaufs dieses verschlungenen Pfades über die schwarz und muffig glänzende Wasserfläche immer ein Rätsel bleiben, wie sie es schaffte, im schwächlichen Schein der Fackel einen Weg durch ein Moor zu finden, in dem weder Baum noch Strauch Anhalt geben konnte. Nicht einmal die Sterne am Himmel waren zu sehen.

Eine Viertel Nacht war vergangen, als wir eine Lehmhütte betraten, die auf einer Moorinsel errichtet war. Die alte Frau erwähnt einen Pfad, der vom Bathronzipfel der winzigen Insel aus diesem Moor zu festem Boden und einer Straße nach Machairas führte. Für die Nacht aber sei es Zeit, sich auszuruhen.

Der sumpfige Weg war schwer begehbar gewesen und die Müdigkeit ließ unsere Glieder auf unsere Lager zurücksinken. Der Schleier des Schlafes schloß sich sanft um uns, während die Alte noch ein Feuer in der Mitte der Hütte entfachte.

Für das, was nun geschah, waren alle Erklärungen, die ich erhalten habe, unzulänglich und fehlerhaft. Entscheide Du, Entzifferer meiner Zeichen, lieber selbst. Vielleicht ist es Dir, bei einer Begebenheit in deinem Leben, auch schon einmal vorgekommen, daß jede Erklärung, ja, jeder Versuch einer solchen, an dem absonderlichen Geschehnissen versagen mußte. Vielleicht bist Du auch nicht so befangen von Schrecken und Unheil und Deine klaren Gedanken finden eine plausible Erklärung.

Mir tat sich im Schlafe allerlei wunderliches Zeug auf. Zunächst träumte mir, daß ich aufgestanden und im Grauen des Morgens vor die Tür der runden Lehmhütte trat. Ich blinzelte in die Sonne und stellt Euch das Erstaunen vor, als an Stelle des Moores vom gestrigen Abend ein wunderherrlicher Garten lag. Überall erblühten die herrlichsten Blumen, Insekten summten fröhlich und an den Bäumen, Büschen und Sträuchern hingen saftige, meinen Gaumen aufreizende Früchte.

Der Blick zurück in die Hütte zeigte mir, daß meine Gefährten schon aufgestanden waren.

Ich kostete den Duft der Blumen, meine Zunge verlangte nach den Früchten und mein Auge nach der Schönheit des Gartens. Verzaubert taumelte ich mitten hinein in das Blühen und Duften. Vögel umzwitscherten mich mit buntem Gefieder und die wunderbarsten Schmetterlinge umtanzten meinen Kopf, im Licht einer mein Gesicht streichelnden Sonne.

Als ich vorwärts lief, sah ich meine Gefährten wieder. Sie tanzten auf einer Wiese von Blumen und in ihren Armen lagen zwei Mädchen, deren Schönheit mich vor Erregung zittern ließ. Ihr wehendes Haar wurde von der Sonne vergoldet, währen seidene Schleier ihre zarten Körper umhüllten. Und ein Duft, wie von Rosen und Rosmarin wehte in mein Gesicht.

Sie wunken mir, freudig und ungeduldig nach mir rufend.

Doch ich zögerte, nicht wissend, ob ich zuerst von den Früchten kosten oder mich einreihen sollte in den Reigen von Tanz und heiter wohlwollendem reizendem Lachen. Dieses für manchen vielleicht ungewöhnliche Zaudern war unzweifelhaft ein Segen. Aber ich war schon als Kind mehr an einem guten Essen als an den Mädchen interessiert.

Für den Moment einer Entscheidung senkte ich den Blick. Wie ich anhielt, verschwamm der Zauber und mit einem Aufschrei des Entsetzens fiel ich vom Schreck gestoßen ins Moor.

Der Garten verschwunden, die Früchte, Vögel und Schmetterlinge fort, kalter Angstschweiß anstelle des Entzückens. Meine Gefährten waren umgarnt von zwei riesigen Spinnen und strampelten in den seidenen, klebrigen Fäden um ihr Leben.

Ich rappelte mich auf, schon waren sechzehn haarige Beine hinter mir her. Das Moor war glitschig und die Hütte erschien mir in diesem Moment so weit, so endlos weit entfernt. Ich wagte nicht, mich umzudrehen, zog aber noch im Laufen meinen Dolch aus der Scheide. Ewigkeiten schienen mir vergangen, als ich die rettende schwarze Öffnung der Hütte erblickte. Gerade, als ich hindurchwollte, traf mich eine Spinne. Ich fuhr herum und stach ihr zwischen die Augen, sie zischte beißend auf, nur mit einem schnellen Sprung entkam ich rückwärts in die Hütte. Der Hieb hatte mich verletzt. Schmerzvoll taumelte ich weiter, erreichte mein Lager und brach ohnmächtig darauf zusammen.

Als ich erwachte, blickte ich hektisch auf. Meine Gefährten lagen ruhig und friedlich schnarchend neben mir. Ich erhob mich verwirrt, um sie zu wecken, da riß mich der Schmerz wieder zu Boden. An meiner Seite, gerade da, wo mich die Spinne getroffen hatte, klaffte eine schwach blutende Wunde. Eine Lache hatte sich schon neben mir gesammelt. Ich rief meine Gefährten. Pestur versorgte die Wunde und wand sich anschließend der alten Frau zu, die noch immer reglos am abgebrannten Feuer lag. Sie war tot!

Noch zur selben Stunde begruben wir sie. Ihr Tod schien natürlich. Obwohl ich sie durchsucht hatte, war keine Wunde oder Verletzung zu finden, auch mein Dolch steckte noch immer sauber und unbenutzt in der Scheide. Limsol und Pestur fragten lange, bis ich ihnen meine Geschichte erzählte. Limsol lachte, nur Pestur blickte nachdenklich auf das Grab der Alten, murmelte etwas Unverständliches und drängte zu einem raschen Aufbruch.

Wir kamen noch rechtzeitig, mein Bruder wurde gerettet. Er ist schon wieder munter und geht mit Pestur in den machairischen Hügeln auf Jagd, während Limsol vor meiner begeisterten Familie seine Geschichten erfindet. Nur meine Wunde heilt mühsam und erinnert mich täglich an die Gärten im Moor.

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