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Tagebuch des Rutin si Gulban


3. Siwan 414 n.P.

Heuer haben die Meermenschen Ernst gemacht: sie haben 30 Schiffe im Hafen versenkt. Jetzt hat sich die leichtsinnige Politik unseres Sturmherren Thalin na Read bitter gerächt. Hätte er doch nur auf die vernünftigen Stimmen in seinem Beraterkreis gehört. Statt dessen gab er aber den Falken in seiner Umgebung den Vorzug und liess es auf eine Konfrontation mit den Meermenschen ankommen. An und für sich hätte das ja gut gehen können, wie ich hörte. Schliesslich war Aron lon Dorinam nicht das einzige Land, das die Maut verweigern wollte, schliesslich hat unser Land enorme Ressourcen für einen eventuellen Kampf gegen Selavan. Doch Thalin nutzte keine Möglichkeit aus, sich mit Gleichgesinnten zu verbünden; er liess auch die Forschung nach geeigneten Waffen im Kampf gegen die Meermenschen versanden. Das kann niemand richtig verstehen. Wenn man etwas anfangen will, so muss man es auch richtig tun!

15. Aw 414 n.P.

Für morgen ist eine ausserordentliche Konferenz der Grossgilden Aron lon Dorinams einberufen worden. Einziges Traktandum: Absetzung Thalin na Reads. Ich als Sekretär der Gulban-Grossgilde werde die Interessen unserer Mitglieder im Rat vertreten; ich wurde von der Versammlung der Gulban-Landesgilden ermächtigt, für die sofortige und unehrenvolle Absetzung des unfähigen Sturmherren zu stimmen.


16. Aw 414 n.P.

Die Versammlung der Grossgilden war teilweise erfolgreich: Man hat mit überwältigender Mehrheit beschlossen, Thalin in ein Kloster im Lansai-Gebirge zu verbannen. Aber noch bevor die Stimmenauszählung vorbei war, kam aus dem Palast die Nachricht, dass Thalin sich in der Morgendämmerung mit einem grossen Teil des Reichsschatzes Richtung Kerlim abgesetzt habe. Dies machte die ganze Sache noch schlimmer, denn nun war Thalin nicht nur ein Versager, sondern auch noch ein Dieb! Deshalb wurde auf seine Ergreifung die Belohnung von 10’000 Gold ausgesetzt und die Ritter von Londor gen Kerlim in Bewegung gesetzt. Leider bis jetzt noch keine Erfolgsnachricht.

28. Elul 414 n.P.

Plötzlich hat sich Thalin als gewiefter Taktiker erwiesen. Auf der Flucht schlägt er dauernd Haken und legt seinen Verfolgern falsche Fährten, durch sie sie immer mehr Zeit verlieren. Zudem kann er mit seiner Diebesbeute Helfer kaufen, die für ein Goldstück die Verfolger in die falsche Richtung weisen, oder die ihn ein Stück weit mit einem Küstensegler nehmen. So ist er in Rekordzeit über die Grenze nach Ciakan entkommen und in den dortigen Sümpfen untertaucht

Deshalb musste der Rat der Grossgilden zugeben, dass Thalin für immer entkommen ist. Aber für die Wiederbeschaffung des geraubten Goldes wurde neu der zehnte Teil davon als Belohnung ausgesetzt, während man nun auf die Ergreifung der Person Thalins verzichtet.

Im Rat wurde in den letzen Wochen hitzig beratet, welchen Weg Aron lon Dorinam jetzt einschlagen soll. Radikale Räte schlugen eine reine Gildenherrschaft vor, die künftig solche Tiefschläge in der jüngeren Vergangenheit verhindern soll. Die Mehrheit aber war dafür, dass Aron lon Dorinam eine konstitutionelle Monarchie bleiben soll, mit den Gilden als Kontrollinstanz. Denn besonnene Stimmen wiesen zu Recht darauf hin, dass auch eine Regierung der Gilden nicht fehlerfrei sein könne, dass eine solche Regierungsform sehr schwerfällig sein werde, da der Sturmherr als einigendes Element wegfallen würde und die verschiedenen Gilden sich wegen ihren eigensüchtigen Interessen gegenseitig blockieren würden.

Als dieses Hickhack endlich vorüber war, konnte es endlich an die Wahl eines neuen Monarchen gehen. Man einigte sich darauf, für die Kandidatensuche ein halbes Jahr aufzuwenden. Danach sollte der am meisten geeignete Bewerber in den Ssakat 414 n.P. gewählt werden.

1. Ssakat 414 n.P.

Es ist unfassbar, was da an Kandidaten für das Amt des Sturmherren zusammengetragen worden sind. Scheinbar hat jede der sechzig Grossgilden einen eigenen Favoriten aufgestellt, denn es bewerben sich über sechzig Leute für die Herrschaft!

Es schaudert mich schon nur beim Gedanken an die endlosen Debatten, die nun unausweichlich kommen werden. Die Wahl wird sicher nicht vor den Ssakat 415 n.P. perfekt sein, denn ich kenne meine lieben Kollegen von den anderen Gilden. Zudem wird es mir, der ich gerne zu einem guten Kompromiss bereit wäre, von den Vertretern der Landesgilden untersagt sein, für einen anderen Kandidaten als den unseren zu stimmen. Ich muss leider Rücksicht auf sie nehmen, so schwer es mir fallen wird, denn sonst würde ich sofort als Sekretär der Gulban-Grossgilde abgewählt werden, und mir gefällt es eigentlich gut in dieser Position.

5. Ssakat 415 n.P.

Meine schlimmsten Befürchtungen haben sich übertroffen. Ein ganzes Jahr haben wir unterdessen mit endlosen Debatten, politischen Grabenkämpfen und kurzlebigen Allianzen verschwendet, und immer noch stehen über fünfzig Kandidaten zur Auswahl. Ich bin verzweifelt, denn es geht mit Aron lon Dorinam immer schneller bergab. Diese heillose Gildenpoltik macht das Land kaputt, die Landesteile beginnen schon langsam auseinanderzudriften. Hoffentlich gibt es keinen Bürgerkrieg! Da bin ich unendlich froh, dass wir uns nach dem Ende der Herrschaft Thalins für die Beibehaltung der Monarchie entschieden haben, denn wir unersättlich gierigen und eigensüchtigen Gilden sind einfach nicht fähig, uns auf einen simplen Konsens zu einigen. Dies geht so weit, dass wir uns nicht einmal auf geregelte Pausen in der Beratung einigen können. In der Rewha-Grossgilde ist man sich gewöhnt, den Bordago als Ruhetag einzuschalten, also will man die Beratungen auch am Bordago unterbrochen haben. Dem widersetzt sich aber die Batya-Grossgilde, denn bei ihnen gilt der Arodago als Ruhetag. Man stelle sich nur mal vor, es gibt genau sechzig von diesem Grossgilden, jede von ihnen hat einen eigenen, charakteristischen Ruhetag und will diesen auch als Ruhetag für den Rat durchgesetzt haben. Schon nur wegen diesem lächerlichen Problemchen geht Woche für Woche wertvolle Zeit verloren. Ich bin sehr pessimistisch, wenn es um eine Beurteilung geht, wann diese Marathonsitzung glücklich mit der Wahl zum Sturmherren zu Ende geht. Das Ganze wird wohl noch einen zweiten Jahrestag erleben...


20. Adar 416 n.P.

Der leidige Streit um die Wahl des neuen Sturmherren hat eine unerwartete Wendung genommen. Heute erschien Warthon, der oberste Dondra-Priester in Aron lon Dorinam im Ratssaal und griff in die Diskussion ein. Er bezeichnete sich in einer kurzen Rede als unabhängigen Vermittler und berichtete, dass Dondra im Traum zu ihm gesprochen und ihn angewiesen habe, uns Räten mitzuteilen, dass die Wahl Dondras bereits gefallen sei. In den kommenden Tagen der Ssakat würde offenbar werden, welcher der Kandidaten erwählt sei.

Endlich scheint also die Sache ausgestanden zu sein: Wir Räte, die zum grössten Teil unterdessen eingesehen haben, dass wir absolut unfähig sind, ausserhalb der internen Affären der Gilden Entscheidungen zu treffen, waren erleichtert, dass jetzt eine höhere Macht eingegriffen hat und für uns entschieden hat. Ich bin sehr gespannt, welcher Kandidat der Glückliche Auserwählte sein wird. Ich fiebere dem Beginn der Ssakat entgegen.


3. Ssakat 416 n.P.

Zu unser tiefstem Erstaunen war es keiner der Kandidaten der Gilden, der durch Dondra gekennzeichnet wurde, sondern es war der jüngere Bruder des alten Sturmherren Thalin, Dhiarra na Read! Aber ich greife vor, alles der Reihenfolge nach: Am ersten der Ssakat geschah es, dass Dondra den Krönungsturm zu Londor zum Zentrum eines Wirbelsturms machte, der niemanden unbehelligt den Platz rings um den Turm betreten liess. Priester Warthon aber versammelte alle Kandidaten vor dem Platz und sprach zu ihnen, dass Dondra seinen Auserwählten sicher und unbehelligt den Krönungsturm betreten lassen werde und befahl ihnen, es zu versuchen. Keinem der sechzig Kandidaten der Gilden gelang es, mehr als einen Schritt weit in den winddurchtosten Platz zu setzen. Alle wurden weit durch die Luft geschleudert und unsanft ausserhalb des Kreises des Platzes abgesetzt. Nun rief Warthon jeden der Anwesenden auf, sein Glück zu versuchen. Darunter waren auch verschiedene Verwandte der bisherigen Sturmherren und viele Höflinge, die natürlich das Gefühl hatten, besonders auserwählt zu sein. Und wirklich, einer lief seelenruhig schnurstracks zum Tor des Krönungsturmes und betrat ihn. Doch es war keiner der selbstsicheren und aufgeblasenen Höflinge, sondern der jüngste Sohn der vorletzten Sturmherrin und ihres fähigsten Magiers, Dhiarra na Read, der kaum volljährig geworden ist!

Nachdem Dhiarra auf dem Balkon des Turmes erschien, legte sich der Wirbelsturm und er sprach zum sich versammelnden Volk. Er berichtete er, dass Dondra seit einiger Zeit zu ihm im Traum spreche und ihn gründlich auf die Aufgabe als Sturmherren vorbereitet habe. Und wirklich, der blutjunge Mann strahlte Würde und Selbstsicherheit aus. Er ist ein wahrhaftiger Herrscher, geboren um zu befehlen. Schon jetzt war ich bereit, ihn voll anzuerkennen und mich ihm unterzuwerfen. Ich bin sicher, dass es nicht nur mir so ging!

Er liess uns wissen, dass der Tag seiner Krönung am 10. Tammus des kommenden Jahres sein werde, der ein grosser nationaler Feiertag ist und befahl uns allen, alle nötigen Vorbereitungen dazu zu treffen. Voller Freude, endlich wieder einen Herrscher zu haben und endlich den ermüdenden und fruchtlosen Ratssitzungen entkommen zu sein, machten sich die Gildenräte ans Werk und begannen, eine würdige Krönung und ein rauschendes Fest zu organisieren, das am 10. Tammus stattfinden soll.


10. Tammus 417 n.P.

Heute um zehn Uhr begann der offizielle Teil der Krönung mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages, der Dhiarras Ernennung zum Sturmherren legitimiert. Ich war als Vertreter der Gulban-Grossgilde anwesend und setzte im Namen meiner Gilde meine Unterschrift unter das Dokument. Damit war die Krönung eigentlich schon besiegelt, doch am Nachmittag begann die eigentliche Krönungszeremonie; Dhiarra ritt auf dem heiligen Pferd der Könige zum Krönungsturm, begleitet von seiner rot-schwarz gekleideten Leibgarde. Dann betrat der künftige Sturmherr den Turm allein. Was in der folgenden halben Stunde im Turm geschah, weiss niemand, das ist das Geheimnis der Herrscher Aron lon Dorinams. Die Legende geht so, dass in jener halben Stunde der Sturmherr durch seine Ahnen zu gutem Königstum ermahnt wird. Wer weiss, ob das stimmt.

Dann betrat Dhiarra den Balkon des Turmes, so dass jedermann dem folgenden Wunder der Krönung beiwohnen kann. In einem uralten Ritual erscheint der erste Sturmherr Aron lon Dorinams, Hagron, der das Land und den neuen König segnet und wieder verschwindet. Danach erscheinen zwei weitere legendäre Gestalten, Maggo der Kühne und Dionigar von Londor, die Dhiarra im Namen der Armee und des Volkes das Recht übergeben, über Aron lon Dorinam zu herrschen. Damit war die Zeremonie vorbei und Dhiarra na Read ritt wieder zum Palast zurück, wo er das Zeichen zum Beginn des Volksfestes gab. Auf dem Gelände des Palastes hatten die Köche schon seit Tagen das Festmahl für das Volk von Londor vorbereitet, das sich nun dort versammelte und mit dem Gelage begann, während der Sturmherr, die Gildenvertreter und die Edlen aus allen Teilen des Landes im Innern des Palastes mit ihrem Fest begannen.

Ich schreibe noch schnell diese Zeilen fertig, bevor ich mich wieder ins Getümmel des Festes werfe; denn in zehn Minuten, um Mitternacht, soll ein prächtiger Ball beginnen und ich möchte mal wieder mein Tanzbein schwingen und vielleicht die eine oder andere Dame kennenlernen...

Segment: Corigani - Reich: Aron lon Dorinam

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